Freitag, 3. November 2017

Kennzeichnungspflicht für Polizisten- oder: täglich grüßt das Murmeltier…

Wer in den letzten Tagen und Wochen halbwegs aufmerksam die politischen Nachrichten verfolgt hat, wird am Rande der schönen Insel Jamaika mitbekommen haben, dass manche politischen Entscheidungen auch sehr schnell rückgängig gemacht werden können, wenn die Regierung wechselt. So geschehen mit der Kennzeichnungspflicht für Polizisten: gerade einmal ein Jahr hatte diese in NRW Bestand. Vor gut zwei Wochen beschloss der Landtag mit den Stimmen der CDU, der FDP sowie der AfD eine Änderung des Polizeigesetzes NRW. In deren Folge wurde der erst am 6. Dezember 2016 neu geschaffene §6a PolG NRW ersatzlos gestrichen. Dieser Paragraph sah unter anderem vor, dass Polizisten beim Einsatz in Einheiten der Bereitschaftspolizei und Alarmeinheiten eine „zur nachträglichen Identifizierung geeignete individuelle Kennzeichnung“ tragen müssem. Als „unnötig und überflüssig“ bezeichnete Innenminister Reul diese Regelung, was wohl nicht nur bei regelmäßigen Besuchern von Fußballspielen Kopfschütteln auslöst. 


Und dennoch sind es eben Fußballfans, die besonders häufig mit Polizisten en masse zu tun haben. Insbesondere Auswärtsfahrer haben das Bild einer typischen Hundertschaft schnell vor Augen: Ein Auftreten in Schutzausrüstung samt Helm und Vermummung ist der Regelfall und sorgt dafür, dass es im Fall von Auseinandersetzungen und anderen Vergehen seitens der Polizei nahezu unmöglich ist, die verantwortlichen Polizisten zu identifizieren. Dies kommt nun im Hinblick auf Strafverfahren gegen Polizisten zusätzlich zur ohnehin verdächtig hohen Zahl der eingestellten Verfahren gegen Polizeibeamte wieder erschwerend hinzu. Nicht nur wir als Angehörige der recht spezifischen Interessensgruppe Fußballfans sind davon betroffen, vielmehr geht es beispielsweise auch um das Auftreten der Polizei bei Demonstrationen oder im Rahmen anderer Einsätze. Die Hürden dafür, einen Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sind in allen Fällen enorm hoch und kaum zu überwinden. 

Gegner der Kennzeichnungspflicht führen immer wieder dieselben Argumente an. Generalverdacht oder Misstrauen sind häufige Schlagwörter, die Polizei fürchtet sich vor Anzeigenwellen, Politiker sprechen von „polizeifeindlicher Politik“ oder befürchten, dass Polizisten aufgrund ihrer Kennzeichnung auch abseits der Einsätze erkannt und attackiert werden würden. Gerade Letzteres erweist sich im Fall der in NRW einige Monate lang gültigen Regelung als Rohrkrepierer. Um der genannten Sorge Rechnung zu tragen, bestand die Kennzeichnung in Nordrhein-Westfalen aus einem anonymen Zahlencode, der in keinem Zusammenhang mit der Identität des betreffenden Beamten stand. Datenschutz und Persönlichkeitsrechte waren also auch mit der individuellen Kennzeichnung gewährleistet. Auch das Argument der im Falle einer Kennzeichnungspflicht ansteigenden Zahlen von Anzeigen ist schnell entkräftet. Für NRW gibt es zwar noch keine belastbaren Zahlen, doch der Blick in andere Bundesländer zeigt schnell, dass an der Sorge vor einer steigenden Anzeigenanzahl oder anderen Nachteilen für Polizisten wenig dran ist. Weder in Berlin (Kennzeichnungspflicht seit 2011) noch in Brandenburg (seit 2013) oder Hessen (seit 2014) kam es den Angaben der zuständigen Innenministerien zufolge zu mehr Anzeigen gegen Polizisten. 

Dass Polizeigewerkschaften im Rahmen dieser Diskussion in einer Art Reflex schnell zu populistischen Parolen greifen, verwundert zwar wenig, ist aber angesichts des aktuellen politischen Handelns bedenklich. Wer von Misstrauen spricht, kann auch von Verantwortung, Transparenz oder Rechenschaft sprechen. Was als ungerecht empfunden wird, kann und muss unabhängig überprüft werden. Auch und gerade wenn der Staat in Rechte des Bürgers eingreift ist es üblich, dass zumindest die Möglichkeit der Überprüfung der in Frage stehenden Maßnahme besteht. Dabei geht es nicht um eine Frage des Misstrauens oder des Generalverdachts, sondern streng genommen um das Gegenteil. Wer das Handeln der Polizei transparenter macht, schafft viel eher Vertrauen als eine vermummte Hundertschaft, deren Entscheidungen nicht hinterfragt werden können. Hier geht es darum, vereinzelte Vergehen auch bestrafen zu können, um die Polizei eben nicht in Sippenhaft zu nehmen. Auch Mitglieder einer Hundertschaft werden sich angesichts der Möglichkeit, für Vergehen zur Verantwortung gezogen zu werden, wohl verantwortlicher verhalten, als es bisher in vielen Situationen der Fall war. Wird man beispielsweise auch als Unbeteiligter mit einer Ladung Pfefferspray eingedeckt oder wird man durch einen wahllosen Einsatz von Wasserwerfern verletzt, ist kaum nachzuvollziehen von wem diese Maßnahme ausging. Dass Beschwerden ja theoretisch trotzdem möglich sind mutet im Hinblick auf die einschlägigen Situationen wie Auseinandersetzungen bei Demonstrationen oder Fußballspielen und Demonstrationen, bei denen es häufiger zum Einsatz von Pfefferspray oder Wasserwerfern – um bei den genannten Beispielen zu bleiben – kommt, geradezu absurd an. Gerade angesichts der Tatsache, dass die Polizei und einzelne Polizeibeamte unter Umständen das Recht besitzen zu einer derartigen Maßnahme zu greifen, muss auf der anderen Seite ein Gegengewicht existieren. Eine anonyme Kennzeichnung dürfte da wirklich kaum zu viel verlangt sein. 

Das blinde Vertrauen in die Polizei sowie deren Handeln steht also dem Wunsch nach Transparenz und dem Recht, auch praktisch und nicht nur theoretisch gegen Maßnahmen der Polizei vorgehen zu können, gegenüber. Mit der anonymen Kennzeichnungspflicht in NRW war in der Praxis eine Regelung in Kraft, die allen Interessen gerecht wurde. Was die aktuelle Landesregierung allerdings von den berechtigten Interessen der Bürger hält wurde mit den Worten „unnötig“ und „überflüssig“ ja ganz gut beschrieben. Bleibt zu hoffen, dass die Thematik jetzt nicht in Vergessenheit gerät und schnellstmöglich eine Möglichkeit geschaffen wird, die es jedem Betroffenen ermöglicht, auch in der Realität gegen ungerechtfertigte Polizeimaßnahmen vorgehen zu können. Insbesondere dem Klima zwischen Fußballfans und der Polizei würde dies gut tun. Darum gilt es jetzt die Diskussion am Leben zu halten, Druck zu erzeugen und somit zumindest eine differenzierte Debatte zu erwirken. 

Kennzeichnungspflicht für Polizisten – jetzt und auf Dauer!