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Mittwoch, 14. Februar 2018

Die 50+1-Regel und die aktuellen Entwicklungen


Was vor einigen Wochen nicht nur, aber hauptsächlich in Hannover für ordentlich Diskussionsstoff sorgte schlägt nun endgültig deutschlandweite Wellen: Es geht um nicht weniger als die Zukunft der 50+1 Regel im deutschen Profifußball. Stein des Anstoßes war Hannovers Präsident Martin Kind, der seinen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung zurückzog, damit nun die Mitglieder der DFL eine so bezeichnete „intensive Grundsatzdebatte“ über die 50+1-Regel stattfinden lassen können. Die neue Wendung in der Debatte wurde von beiden Seiten bisher als Erfolg bezeichnet, bedarf aber durchaus eines genaueren Blicks auf den aktuellen Stand der Thematik.

Die 50+1-Regelung wurde 1998 vom DFB infolge einer anderen weitreichenden Entscheidung getroffen: Ab diesem Zeitpunkt durften Fußballvereine ihre Profimannschaften in Kapitalgesellschaften ausgliedern und mit diesen am deutschen Profifußball teilnehmen. Die deutliche Mehrheit der Erstligisten und viele Zweit- und Drittligisten betreiben eine solche ausgegliederte Kapitalgesellschaft. Um zu verhindern, dass Kapitalanleger und Investoren einen zu großen Einfluss auf die Vereine bzw. ihre ausgegliederten Profimannschaften nehmen oder gar die vollständige Kontrolle über diese übernehmen, schuf der DFB in Paragraph 16c seiner Satzung die 50+1-Regelung. Diese besagt, dass der Mutterverein (also der e.V.) weiterhin die Mehrheit der Stimmanteile an der Kapitalgesellschaft haben muss. Die Mehrheit der Stimmanteile meint konkret mindestens 50 Prozent plus einen weiteren Stimmanteil. So weit, so sinnvoll.

In den letzten Jahren wurde diese Regelung allerdings immer weiter ausgehölt und umgangen. Problematisch erscheint schon die Möglichkeit, dass Unternehmen zwar nicht die Mehrheit der Stimmanteile, dafür aber die (deutliche) Mehrheit des Kapitals stellen können. Allein so umgehen Vereine wie Hoffenheim oder Red Bull Leipzig die 50+1-Regelung, ohne dafür belangt werden zu können. Beispiel Leipzig: Zwar kann auch hier die Red Bull GmbH maximal 49% der Stimmen an der „RasenBallsport Leipzig GmbH“ halten, allerdings stehen auf Seiten des e.V. eigenen Angaben zufolge lediglich 17 stimmberechtigte Mitglieder, welche zudem allesamt dem Unternehmen Red Bull nahestehen sollen. Von Red Bull kommt gleichzeitig auch nahezu das gesamte Kapital der ausgegliederten Profiabteilung. Dieses Beispiel zeigt, wie die 50+1-Regelung durch extreme wirtschaftliche Abhängigkeit von einer Person (Hopp in Hoffenheim) oder einem Unternehmen (Red Bull in Leipzig) umgangen werden kann.

Statt wirksam gegen faktische Verstöße gegen die 50+1-Regel vorzugehen, wurden in der Vergangenheit jedoch nur weitere Ausnahmeregelungen geschaffen. So dürfen Unternehmen oder Personen, die einen Verein länger als 20 Jahre „ununterbrochen und erheblich gefördert“ haben die Mehrheit an den Kapitalgesellschaften halten. Geschaffen wurde die Ausnahme für Bayer Leverkusen (und wird deshalb auch als „Lex Leverkusen“ bezeichnet), aber sie wird auch genutzt vom VfL Wolfsburg (VW) und der TSG Hoffenheim (Hopp). Einen entsprechenden Antrag stellte auch Martin Kind in Hannover und wollte damit nun die komplette Macht bei 96 übernehmen. Dass er seinen Antrag nun zurückzog dürfte wohl kaum auf einen Sinneswandel infolge der vehementen und ausdauernden Proteste aus der Fanszene zurückzuführen sein, sondern viel eher darauf, dass sich Kind sowie weitere Gegner der 50+1-Regelung viel von der eingangs erwähnten „intensiven Grundsatzdebatte“ versprechen. Genau auf diese wird es jetzt ankommen und genau auf diese müssen alle interessierten Verfechter der 50+1-Regel einen möglichst großen Einfluss nehmen.

Gegner der Regel führen immer wieder das Argument der Konkurrenzfähigkeit ins Feld und stützen sich gerade in der aktuellen Debatte auf die Tatsache, dass die deutschen Mannschaften in den europäischen Mannschaften deutlich unter den Erwartungen abschnitten. Dass mit Köln, Hertha und Freiburg absolute Überraschungsmannschaften dabei waren, scheint dabei vergessen worden zu sein. Ebenso die Tatsache, dass auch RB Leipzig in der Champions League an den Start ging und versagte, obwohl man sich gerade dort wegen der auf der Hand liegenden Umgehung der 50+1-Regel gerade nicht auf fehlende Wettbewerbsfähigkeit berufen dürfte. Darüber hinaus muss man sich natürlich auch immer wieder die Beweggründe der Unternehmen oder Unternehmer vors Auge führen. Viel eher als die viel zitierte Herzensangelegenheit wird es die Erwartung von Gegenleistungen sein, die Investoren zu ihrem Engagement veranlasst. Das Beispiel Red Bull zeigt das in Salzburg, wo mal eben Vereinsfarbe, Vereinswappen und Vereinsgeschichte für das Engagement des Unternehmens über den Haufen geworfen wurden, noch viel deutlicher als in Leipzig. 

Ein ähnlicher Einfluss scheint in Deutschland zwar noch weit entfernt, würde aber deutlich näher rücken, sollten Investoren nicht mehr an die 50+1-Regelung gebunden sein. Mehr Vereine wie Leipzig oder Hoffenheim steigern weder die Attraktivität oder die Einzigartigkeit des deutschen Fußballs, noch führen sie automatisch zu mehr sportlichem Erfolg. Auch für die Profivereine bzw. den deutschen Profifußball insgesamt würde natürlich nicht wie von Zauberhand alles automatisch besser werden. Das Anlocken neuer Investoren mag durchaus wahrscheinlich sein, noch wahrscheinlicher ist es allerdings, dass große Investoren zu bereits erfolgreichen Vereinen gehen und sich die handvoll Vereine an der Spitze des deutschen Profifußballs nur noch weiter absetzen können. Sprich: Die Schere zwischen armen und reichen Vereinen würde sich mit ziemlicher Sicherheit noch viel weiter öffnen. Die Spitzenvereine mögen dann auf europäischer Ebene durchaus Erfolge verzeichnen können, da natürlich nicht von der Hand zu weisen ist, dass viel Geld in langer Hinsicht oft (wenn auch nicht automatisch) sportlichen Erfolg verspricht. Der Fußball besteht jedoch nicht nur aus dieser handvoll Vereine, sondern aus tausenden Fußballvereinen, Fans, Mitarbeitern und Spielern in ganz Deutschland. Die Frage dahinter lautet schlicht und einfach, wie viele davon tatsächlich von einer weiteren Aufweichung oder einer Abschaffung der 50+1-Regel profitieren würden und zu welchem Preis ein möglicher Profit überhaupt eintreten könnte. Verkauft man den Verein, die Mitbestimmung der Mitglieder (die einen Verein ja ursprünglich ausmachen) und die damit zusammenhängenden Strukturen, nur damit sich der Spalt nach oben hin noch weiter öffnet? Ist die Wettbewerbsfähigkeit einiger weniger Vereins aus der Bundesliga auf europäischer Ebene das wirklich wert? Es wäre ein weiterer Schritt zur völligen Distanzierung von den Fans und der Basis insgesamt.

Nichtsdestotrotz muss man mit nüchternem Blick und ohne die Fußballromantik-Brille sehen, dass dies nicht unwahrscheinlich ist. Schließlich stehen neben den genannten Argumenten noch ganz andere Aspekte im Raum, die völlig außerhalb des Fußballkontextes stehen. Hier sei zum einen die (Un-)Vereinbarkeit mit dem Wettbewerbsrecht der EU als auch kartellrechtliche Bedenken genannt. Satzungen, wie der DFB sie hat, erlauben im Rahmen der Verbandsautonomie grundsätzlich autonome Regelungen, die nicht zwingend mit geltendem Recht aus anderen Bereichen übereinstimmen müssen. Natürlich unterliegen aber auch solche Satzungen gewissen rechtlichen Einschränkungen. Im Hinblick auf mögliche Verfahren vor dem Bundeskartellamt oder dem Europäischen Gerichtshof müssen sich allerdings sowohl Vereine als auch aktive Fans darauf einstellen, dass Einfluss von außen kommt. Für den Kampf für die 50+1-Regelung bedeutet das, dass sich der DFB als auch die Vereine so aufstellen müssen, dass für die Zukunft eine 50+1-Regelung weiterhin das garantiert, was sie auch bisher garantiert hat, aber auch gegen rechtliche Bedenken abgesichert ist. Gefragt ist ein entschlossener Kampf mit realistischem und erweitertem Blickwinkel. Eine dauerhafte, nicht aufgeweichte und stabile 50+1-Regelung. Dafür lohnt es sich einzutreten und dafür müssen alle kämpfen, die im Fußball das erhalten wollen, was grundlegend ist: Mitbestimmung, Identifikation, Leidenschaft.